Ein Buch muss heutzutage gegen das Internet, gegen YouTube oder Serien
auf DVD kämpfen. Da hilft nur eines: Eine starke Bindung an den Leser. Aber wie
bekommt man die?
Neulich im Kinderabteil der Deutschen Bahn. Eine blonde Mutter las ihrem
kleinen Sohn aus dem Buch „Puh der Bär“ vor. Eigentlich ist es eine interessante
und lustige Geschichte. Außerdem singt Puh unglaublich gerne. Die Vorstellung
aber, die diese Mutter ihrem Sohn bot, sah freudlos aus. Mit leiser Stimme und
fehlender Betonung stellte sie den Puh und seine Freunde ihrem kleinen Sohn vor.
Und dieser schien sich wirklich zu langweilen.
Wer nicht gut lesen kann, der hat keine Lust zum Lesen und zum Vorlesen.
Und wer keine Lust hat, der macht es eben auch nicht gut. Das ist der Teufelskreis,
in dem sich viele Kinder befinden. Dieses Problem gibt es nicht nur in
Deutschland: 20 Prozent der 15-jährigen Europäer und viele Erwachsene können
nicht richtig lesen.
Heute gibt es Leseinitiativen. Im schwäbischen Weingarten initiiert die
Pädagogische Hochschule ein Projekt zur Wiederherstellung der Lesekompetenz
der Schüler. In drei bis vier Schulstunden pro Woche soll ihnen zehn bis
15 Minuten vorgelesen werden. Das Thüringer Ministerium für Bildung,
Wissenschaft und Kultur hat in diesem Jahr die Initiative „Lust auf Lesen“ ins
Leben gerufen. Intensiv-Lesekurse, Augengymnastik, fremdsprachige Filme mit
deutschen Untertiteln und freie Lesezeit sollen die Kinder nun wieder auf den
rechten Weg führen.
Aber inwiefern ist die Schule für die Lesekompetenz der Schüler
verantwortlich? Oder fehlt hier die Elterninitiative? Natürlich lernen wir in der
Schule lesen und schreiben, aber das ist es doch nicht, was leidenschaftliches
Lesen ausmacht. Lesen lieben lernen, das geht nur, wenn es Eltern, Tanten, Omas
und Opas demonstrieren. Wir alle in der Klasse 10b fanden es schön, wenn unsere
Kunstlehrerin Frau Bechstein die gruseligen Geschichten von Edgar Allen Poe
vorlas. Und sie hat es sicher genossen, dass die Schüler einmal ruhig waren und
mit roten Wangen und großen Augen saßen. Viel wichtiger aber war doch das
Vorlesen der abendlichen Geschichten in früher Kindheit und das daraus
erwachsene Selberlesen. Noch heute habe ich die verschiedenen Vorlesestimmen
meiner Mutter im Ohr. Und diese Erfahrung kann keine Leseinitiative ersetzen.
Wir alle haben weniger Zeit für Bücher. Wenn nicht gerade ein ruhiger
Urlaub am Meer bevorsteht oder ein langes Wochenende in den Bergen, wo man
sich endlich entspannen kann. Dann kommt auch der Gerne-Leser nicht über seine
zehn-fünfzehn Seiten am Abend hinaus. Davor sind die Arbeit, das gemeinsame
Essen, die Tagesschau und wenn oder noch komplizierter – Kinder. Im letzten Fall ist aber die beste Lösung, den Kindern Ihre und ihre Lieblingsbücher vorzulesen.
Seien Sie ruhig, das werden nicht immer und nicht die ganze Zeit nur Märchen
sein. Manchmal helfen auch die Hörbücher, die man immer unterwegs hören kann.
Aber nicht jedes Buch kann man so bekommen und der Prozess des Lesens an sich
ist schon was Besonderes.
Nur wenn die Beziehung zwischen dem jungen Leser und Büchern stark ist,
kann er auch als Erwachsener immer wieder den Verlockungen von Fernsehen
oder Computer widerstehen und zum Buch greifen. Denn der gedruckte Text hat es
schwer in Zeiten starker Konkurrenz. Und das ist nicht erst seit der Erfindung der
Tablets so. Umso wichtiger, dass unsere Beziehung und die Beziehung unserer
Kinder zum Buch stabil, gefestigt und krisensicher ist. Daran müssen wir auch
ständig arbeiten.